Die Station JERWA an der Schön Klinik Vogtareuth ist eine bundesweit einzigartige Einrichtung, die junge Erwachsene mit schweren, komplexen Behinderungen interdisziplinär versorgt. Ihre geplante Schließung zum Jahresende 2025 nimmt vielen Betroffenen eine einzigartige stationäre Versorgung.
Über JERWA
- Gründung: 2021 im Fachzentrum Neurologie der Schön Klinik Vogtareuth.
- Zielgruppe: Junge Erwachsene ab 18 Jahren mit schweren, komplexen Behinderungen.
- Team: Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten und Ärztinnen aus den Fachgebieten Neurologie, Neurochirurgie, Kinderorthopädie, Orthopädie, Neuropädiatrie, Epileptologie, Epilepsiechirurgie, Wirbelsäulenchirurgie, Intensivmedizin, Palliativmedizin, Anästhesie, Herz- und Gefäßchirurgie sowie Schmerztherapie, Therapeuten und Therapeutinnen und besonders geschulten Pflegekräften.
- Ursprüngliches Ziel war die Transition von der neuropädiatrischen Versorgung in die Erwachsenenmedizin.
Medizinische Notwendigkeit
Neurologische Erkrankungen, die im Kindes- und Jugendalter auftreten, entwickeln sich mit dem Wachstum und der Pubertät anders weiter, als neurologischen Erkrankungen bei Erwachsenen. Erwachsene, die z. B. durch einen Unfall ein Schädel-Hirn-Trauma erleiden, hatten bereits eine „normale“ Entwicklung durchlaufen. Bei Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter verläuft diese Entwicklung ganz anders.
Es entstehen z.B. durch das Längenwachstum mit der Skoliose Symptomkonstellationen, die sich komplett von den neurologischen Erkrankungen unterscheiden, die man in der überwiegenden Zahl der Fälle in der Neurologie behandelt.
Das ursprüngliche Ziel, die Transition in die Erwachsenenmedizin erwies sich also als illusorisch. Bei der Behandlung von und in der Interaktion mit Menschen mit komplexen Behinderungen wurde gelernt und verstanden, dass diese nicht bedarfsgerecht in die Erwachsenenmedizin integriert werden können. Die sehr spezifischen Probleme werden im Alter mehr und nicht weniger und damit auch die Überforderung der Erwachsenenmedizin. Wir haben es immer mit Auswirkungen auf viele Körperfunktionen zu tun, die nicht ohne eine ganzheitliche Betrachtung isoliert behandelt werden können.
Mit dem 18. Geburtstag endet die medizinische Versorgung
Eine Weiterversorgung durch Kinderärzte und Neuropädiater ist nur in Ausnahmefällen und für kurze Zeit möglich. Für viele junge Erwachsene mit komplexen Behinderungen gibt es jedoch keine adäquaten Angebote in der Erwachsenenmedizin. In der JERWA haben wir erkannt, wie gravierend sich diese Lücke auswirkt.
Erwachsene mit Mehrfachbehinderung haben häufig schon ambulant ein Problem, weil die MZEBs als Folgeeinrichtungen der Sozialpädiatrischen Zentren nicht flächendeckend und zudem strukturell limitiert, budgetiert und zugangsbeschränkt sind. Stationär gibt es dann erst recht kaum Behandlungsangebote für die meist komplexen Gesundheitskrisen.
Für eine bedarfsgerechte Versorgung ist
- eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapie,
- die Behandlung komplexer Krankheitsbilder wie schwere Epilepsien, Spastiken, Atem- und Schluckstörungen
und - die langfristige Betreuung, eine kontinuierliche medizinische und therapeutische Begleitung über Jahre
notwendig. Angehörige erzählen auch immer wieder, wie wichtig die Kontinuität ist, dass individuelle Verläufe und Besonderheiten bekannt sind und auch dass ein Vertrauensverhältnis und eine Vertrautheit mit einem Team, einer Einrichtung aufgebaut werden muss. Die Betroffenen haben alle langjährige Erfahrungen mit medizinischen Behandlungen und Strukturen, teils traumatisierende.
Versorgungslücke und Folgen
Ohne spezialisierte Einrichtungen wie die JERWA sind Betroffene auf die Regelversorgung angewiesen, die nicht über die nötige Expertise und notwendigen Ressourcen verfügt. Dies führt zu:
- Fehlbelegungen: Betroffene werden in nicht für sie spezialisierte Abteilungen eingewiesen. In den einzelnen Fachdisziplinen werden oft nur die jeweiligen Symptome behandelt, ohne die zugrundeliegenden neurologischen Ursachen und die Auswirkungen auf andere Bereiche zu berücksichtigen
- Drehtüreffekte: Das führt zu häufigen Krankenhausaufenthalten ohne nachhaltige Verbesserung.
- Verschlechterung des Gesundheitszustands: Diese unzureichende Behandlung führt zu Komplikationen, einer verminderten Lebensqualität und kann lebenszeitverkürzend sein.
Handlungsempfehlungen
- Zeitnaher Erhalt der Station JERWA oder Einrichtung einer gleichwertigen Nachfolgeeinrichtung in der Region mit einem möglichst großen Teil des eingespielten Teams um die auf JERWA erworbene Expertise nicht zu verlieren.
- Entwicklung eines bundesweiten Konzepts zur stationären medizinischen Behandlung und Krisenversorgung.
- Gesetzliche und finanzielle Verankerung solcher Einrichtungen, vergleichbar mit spezialisierten Epilepsie-, Schmerz- oder Reha-Zentren. Hier gilt es zu bedenken, dass die Fehlversorgung und deren Folgen in der jetzigen Situation neben vermeidbarem Leid der Betroffenen auch erhebliche Kosten verursacht.
- Einbindung wissenschaftlicher Fachgesellschaften in die Entwicklung eines interdisziplinären Versorgungskonzepts.